Gemeinsame Erklärung von Landrat Dr. Klaus Michael Rückert und allen Oberbürgermeistern, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern des Landkreises Freudenstadt zur Migrationssituation: „Die Grenzen des Machbaren sind überschritten!“

 

Im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Kreisverbandssitzungen des Gemeindetags Baden-Württemberg, die von Bürgermeisterin Annick Grassi aus Waldachtal geleitet werden, haben sich Landrat Dr. Klaus Michael Rückert und die Oberbürgermeister, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Landkreises Freudenstadt Mitte November zum wiederholten Mal über das die Kommunen in diesem und dem vergangenen Jahr am drängendsten belastende Problem der Migrationspolitik und konkret der Flüchtlingsunterbringung ausgetauscht und gemeinsam folgende Erklärung verabschiedet:

 

„Die umfangreiche Aufnahme Geflüchteter während dieses Jahres und der vergangenen Jahre ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass die Gemeinden, Städte und Landkreise in Baden-Württemberg sich zu ihrer humanitären Verantwortung, wie kaum anderswo innerhalb der EU, bekennen. Nicht zuletzt auch durch die vielerorts weitreichende Unterstützung in Form von bürgerschaftlichem Engagement wurden die verfügbaren Kapazitäten bei der Unterbringung, Begleitung und Integration der Geflüchteten mobilisiert.

 

Gleichwohl ist es auch kommunalpolitische Aufgabe vor Ort, die Grenzen des Leistbaren zu erkennen und im Sinne eines gesamtverantwortlichen Handelns auf ein gutes Miteinander innerhalb der Ortsgemeinschaft zu achten. Hierzu gehört auch, dass nicht auf Dauer gegen eine abnehmende Akzeptanz weiter steigender Zugänge von geflüchteten Personen verfahren werden kann.

 

Zwischenzeitlich sind die regulären Aufnahmekapazitäten der Kommunen seit Monaten belegt und die Integrationsressourcen in Kitas, Schulen, ärztlicher Versorgung und Sprachkursen, überlastet, bzw. bis aufs Letzte ausgereizt. Das Personal in den Ausländerbehörden arbeitet weit über dem Limit und kann den Anforderungen an schnellere Bearbeitungen nicht mehr nachkommen.

 

Dieser Ansicht schließen sich alle Bürgermeister des Landkreises sowie der Landrat ausnahmslos an. Es wurde dabei festgehalten, dass es vorrangig nicht um mehr Geld für die Flüchtlingsarbeit geht, auch wenn dieses nicht ausreichend ist. Sondern, dass nunmehr die Kapazitätsgrenzen tatsächlich überall erreicht sind und die Zuwanderung bzw. Zuweisung nicht einfach wie gehabt weitergehen kann und darf. Eine gelingende Integration ist unter den gegebenen Bedingungen ohnehin schon lange nicht mehr möglich.

 

Dabei besteht im Landkreis Freudenstadt seit Jahren eine im Land wahrscheinlich einmalige Konsensregelung. So bringt der Landkreis Geflüchtete in eigens angemieteten oder gekauften Unterkünften unter und verteilt lediglich zum Bleiben berechtigte Personen auf die Kommunen. Hierbei wurden stets die Kapazitäten und Möglichkeiten der einzelnen Gemeinden und Städte berücksichtigt und Ernst genommen. Bei der Vergleichsberechnung der untergebrachten Personen wurde aber dennoch auch berücksichtigt, wenn sich auf der Gemarkung der jeweiligen Gemeinde eine kreiseigene vorläufige Unterbringung befindet.

 

Bereits im letzten Winter kam man an Kapazitätsgrenzen, weshalb die kreiseigenen Turnhallen für Flüchtlinge umfunktioniert wurden. Man war sich damals wie heute einig, dass dies nicht nochmal der Fall sein darf. Im Laufe des Jahres wurden daher an zahlreichen Stellen Kapazitäten ausgebaut. Nichtsdestotrotz sieht die aktuell einzige Möglichkeit zur Unterbringung von weiteren Flüchtlingen das Aufstellen weiterer Containerdörfer im Landkreis vor. Alle Bürgermeister sind hierzu aufgerufen mögliche Standorte in ihren Kommunen zu prüfen. Und selbst wenn nun über den Winter weitere Containerdörfer entstehen, so wird man für das Frühjahr 2024 weiter auf die Suche nach Unterkünften gehen müssen. Die Kapazitäten sind schlicht und ergreifend erreicht. Ein Handeln auf anderen Ebenen um die Zuwanderung zu stoppen ist daher dringend erforderlich – diesen Appell richten die Bürgermeister aller 16 Kommunen und der Landrat des Landkreises Freudenstadt an die Landes- und Bundespolitik.“

 

Hintergrundinformationen:

 

Im Jahr 2022 hat Baden-Württemberg rund 178.000 Geflüchtete aufgenommen, darunter rund 27.800 Asylbegehrende, rund 146.300 Geflüchtete aus der Ukraine, wovon rund 46.700 vorübergehend in der Erstaufnahme untergebracht wurden, sowie rund 3.400 weitere Einreisende im Rahmen der humanitären Aufnahme. Damit wurden im Jahr 2022 deutlich mehr Personen aufgenommen als im gesamten Jahr 2015, dem Höhepunkt der damaligen Fluchtbewegungen, und dem Jahr 2016 zusammen.

 

Anfang November befinden sich aktuell 180.742 gemeldete Ukrainische Flüchtlinge in Baden-Württemberg (Quelle: Regierungspräsidium Karlsruhe, RPK 03.11.2023) sowie 33.413 Asylerstantragsteller (Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF).

 

Im März 2023 haben die Kommunalen Landesverbände unter Federführung des Gemeindetags Baden-Württemberg einen sogenannten 12-Punkte-Plan vorgelegt, der ganzheitlich eine realitätsbezogene Migrations- und Flüchtlingspolitik einfordert. Der 12-Punkte-Plan für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik „Konsequenz in beide Richtungen“ schlägt folgende Maßnahmen vor:

 

  1. Europaweit gleichmäßige Verteilung
  2. Harmonisierung der Integrations- und Sozialleistungen innerhalb der EU
  3. Nationale Ankunftszentren zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Registrierung
  4. BAMF-Antragsstrecken zur schnellen Klärung von Aufenthaltschancen (24-Stunden-Verfahren)
  5. Rückführung der Personen ohne Bleibeperspektive direkt aus den nationalen Ankunftszentren
  6. Ausweitung der bilateralen Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern
  7. Weiterverteilung von Asylbewerbern auf die Bundesländer nur mit Bleibeperspektive
  8. Verbindliche Integrationsmaßnahmen im Rahmen der vorläufigen Unterbringung
  9. Vollständige Kostenerstattung für kommunale Aufwendungen
  10. Mehr Wohnraum, mehr Kitas, mehr Integration
  11. Durch Standardabbau und Entbürokratisierung Personalnot begegnen
  12. Arbeitsmigration bedarfsgerecht weiterentwickeln